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Newsletter im Januar 2023

Unser monatlicher Rundumblick zum Thema Menschenrechte


Herzlich Willkommen zu unserem ersten Newsletter im Jahr 2023 – wir freuen uns sehr, dass Du dabei bist!


Über uns: Als Student Division sind wir zwar unserer Mutterorganisation Lawyers Without Borders (LWOB) angehörig, agieren aber autonom und organisieren uns eigenständig. Wir arbeiten unserer Mutterorganisation zu und stehen in Zusammenarbeit mit deutschen und europäischen Organisationen. LWOB ist eine NGO mit Sitzen in Großbritannien, Kenia, Tansania und den USA. Ausschlaggebend für die Gründung war die Idee, Anwält:innen weltweit für Human Rights Work zu motivieren und ein globales pro bono-Netzwerk zu schaffen, das auf der ganzen Welt einen Zugang zu Recht garantiert. Mit unserem monatlich erscheinenden Newsletter möchten wir einen Einblick in unsere Tätigkeiten geben, laufende Projekte vorstellen und insbesondere Neuigkeiten zu Menschen- und Grundrechten auf der ganzen Welt teilen - besonders solche, die oftmals unbeachtet bleiben.


Disclaimer: Wir haben uns der Aufklärung im Bereich der Menschen- und Grundrechte verschrieben und sind weder politisch noch übernehmen wir Gewähr für Richtigkeit oder Vollständigkeit für die Rubrik „Neuigkeiten im Bereich Menschenrechte“. Die Inhalte der Beiträge wurden mit größter Sorgfalt erstellt. Quellen und Literatur wurden bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des jeweiligen Beitrags geprüft und berücksichtigt. Darüber hinaus distanzieren wir uns von jeglichen weiteren und zukünftigen Inhalten der angegebenen Websites und Institutionen. Aufgrund der höheren Lesbarkeit mit Rücksicht auf Sehbehinderte haben wir uns für den Gender-Doppelpunkt entschieden. LWOB steht für alle Formen der geschlechtlichen Vielfalt ein. Für diesbezügliches Feedback könnt ihr euch gerne an die Ressortleiterinnen wenden.


Neuigkeiten im Bereich Menschenrechte


Entscheidungen nationaler Spruchkörper


Bundestag: Verbrechen an den Jesid:innen als Völkermord anerkannt Ab dem Jahr 2014 hat die Terrormiliz Islamischer Staat Tausende Jesid:innen terrorisiert. Der Bundestag hat am 19. Januar, als erstes Parlament eines großen europäischen Staates, die Gräueltaten des Islamischen Staats (IS) als Völkermord anerkannt. Tausende von Jesidinnen und Jesiden wurden ab August 2014 vom IS aus ihrer Heimat im Nordirak vertrieben, versklavt oder ermordet. Frauen und Kinder wurden systematisch vergewaltigt und verkauft. Schätzungen zufolge sind ca. 5 000 Mitglieder dieser 4 000 Jahre alten Religion dem IS zum Opfer gefallen. Die Abgeordneten des Bundestages stellten mit dem interfraktionell konzipierten und einstimmig angenommenen Antrag auf die Anerkennung des Völkermordes gleichzeitig eine Forderung an die Bundesregierung: Diese solle sich für eine Reform des irakischen Strafrechts aussprechen. Um eine folgenreichere Verfolgung der IS-Täter:innen zu gewährleisten, sollen die Straftatbestände Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord in das irakische Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Des Weiteren solle die deutsche Regierung Unterstützung bei der Suche von „verschleppten Frauen, Kindern sowie von nach wie vor vermissten Angehörigen“ und beim Wiederaufbau der zerstörten Städte und Dörfer gewährleisten. Die Hoffnung sei es, den 300 000 geflüchteten Jesidinnen und Jesiden die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen und Familien wieder zusammenzuführen. Zu guter Letzt wurde im Beschluss anerkannt, dass mit schätzungsweise 200.000 Mitgliedern in Deutschland die größte jesidische Diaspora weltweit lebe. Diese konfessionelle Minderheit sei Teil der deutschen Gesellschaft und folglich werde sich der Bundestag mit Nachdruck für den Schutz jesidischen Lebens in Deutschland einsetzen. Trotz des fehlenden Rechtscharakters dieses Beschlusses äußert sich der Zentralrat der Jesiden in Deutschland, mit den Worten „Wir haben es geschafft“, zufrieden auf Twitter. Die Jesidinnen und Jesiden „gehören nicht in Zelte oder Camps, sie gehören in ihre Heimat“, erklärte der Vorsitzende des Rates und betonte die Relevanz eines Wiederaufbaus der zerstörten Dörfer und Städte. Quellen und weitere Informationen: Bundestag, tagesschau



Neuigkeiten internationaler Spruchkörper und Organisationen


EGMR: LGBTQIA+-Märchen nicht schädlich für Kinder Im Jahr 2013 veröffentlichte eine litauische Universität ein Märchenbuch. Es richtet sich an Neun- bis Zehnjährige Kinder und ist von traditionellen Märchenbüchern inspiriert. Die Autorin Neringa Dangvydé Macaté thematisiert aber auch Themen wie unter anderem unterschiedliche Hautfarben, Behinderungen, Migration oder gleichgeschlechtliche Beziehungen. Letzteres hatte die Aufsichtsbehörde in Litauen dazu bewegt, den Verkauf zwischenzeitlich zu stoppen. Der Grund: Die zwei Geschichten über gleichgeschlechtliche Beziehungen seien für unter 14-Jährige "gefährlich". Laut der litauischen Regierung würden homosexuelle Beziehungen zu emotional beschrieben, was untypisch für Märchen wäre. Frau Macaté klagte und verlor vor dem obersten Gerichtshof in Litauen endgültig. Daraufhin wandte sie sich an den EGMR. Im Jahr 2020 starb sie, doch ihre Mutter führte den Prozess fort. Die große Kammer des EGMR stellte nun klar, dass die Autorin durch den Rückruf des Buches und die staatlichen Warnhinweise in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde. Zudem stellte das Gericht fest, dass das Buch nicht für sexuelle Partnerschaften werben sollte, sondern lediglich dazu aufrief, allen Mitgliedern der Gesellschaft Respekt zu zeigen. Es gäbe zudem keine Anzeichen darauf, dass Erwähnungen von Homosexualität Kindern schaden könnte. Dadurch, dass sich Litauen auf die Seite einer heterosexuellen Lebensform stellte und diese damit als die richtige Art eine Partnerschaft zu führen darstellt, verstoße das Land gegen die Grundsätze von Gleichheit und Toleranz. Litauen wurde zu einer Zahlung von 12.000 € Schadensersatz an die Mutter der Autorin verurteilt. Zudem muss der Staat die Verfahrenskosten tragen. Quellen und weitere Informationen: Spiegel, tagesschau


EuGH und EGMR stärken Rechte der LGBTQIA+-Community Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) haben in zwei Urteilen die Rechte der LGBTQIA+-Community gestärkt. Zunächst urteilte der EuGH, dass die "EU-Antidiskriminierungsrichtline" (Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie für Beschäftige und Beruf 2000/78/EG) auch für Selbständige gelte (Rs. C-356/21, ECLI:EU:C:2023:9). Im Fall hat ein polnischer Rundfunksender einem langjährigen freien Mitarbeiter gekündigt, nachdem er von dessen offen nach außen gelebter Homosexualität erfuhr. Bisher war es in Polen erlaubt, Verträge mit Selbständigen aufgrund deren sexueller Orientierung abzulehnen. Das befasste Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob der in Rede stehende Sachverhalt in den Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsrichtline falle und ob das polnische Recht mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Dies lehnte der EuGH mit den Schlussanträgen der Generalanwältin Ćapeta nun ab: Die Ablehnung eines oder einer Vertragschließenden aufgrund der sexuellen Orientierung ist nicht mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit zu rechtfertigen. Der Fall ist damit aber noch nicht entschieden - um in den Anwendungsbereich der Richtlinie zu fallen, muss es sich um eine "tatsächliche Tätigkeit handeln, die im Rahmen einer durch eine gewisse Stabilität gekennzeichneten Rechtsbeziehung ausgeübt werden". Diese Voraussetzung muss durch das vorlegende Gericht nun noch geklärt werden. Nur wenige Tage später hat der EGMR Russland wegen der Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren verurteilt (Rs. 40792/10 u.a.). Geklagt hatten drei homosexuelle Paare, deren Heiratswille von den russischen Behörden abgelehnt wurde mit der Begründung, dass "das russische Gesetz die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau definiere". Die russische Regierung führte außerdem an, dass die Mehrheit der Russ:innen "Homosexualität ablehne". Diese Haltung stufte der EGMR als unvereinbar mit der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) ein: Es würde deren Grundsätzen zuwiderlaufen, wenn die Einhaltung von Minderheitenrechten der EMRK von ihrer Akzeptanz durch die Mehrheit abhinge. Russland verstößt mit seiner homophoben Haltung gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Russland ist zwar eigentlich an die ergehenden Urteile der noch beim EGMR anhängigen Klagen gebunden. Aufgrund einer dahingehenden Weigerung der Regierung und Russlands Ausschluss (bzw. selbst ernannten Austritts) aus Europarat und EMRK (wir berichteten im März 2022) ist jedoch davon auszugehen, dass dieses Urteil von der russischen Regierung nicht anerkannt werden wird und höchstens symbolisch wirkt. Quellen und weitere Informationen: Infopoint Europa, LTO zu Polen, RSW Beck, Queer


Resolution zu Ermittlungsarbeiten des IGH Die UN-Generalversammlung hat beschlossen, den IGH (Internationaler Gerichtshof) mit der Ermittlung zu möglichen Verstößen Israels gegen Rechte der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland zu betrauen. Auch wenn sich 53 Staaten ihrer Stimme enthielten, wurde diese Resolution doch mit insgesamt 87 zu 26 Stimmen verabschiedet. Die Resolution 77/247 verlangt ein umfassendes Gutachten zu den rechtlichen Konsequenzen, welche aus der israelischen Präsenz in den palästinensischen Gebieten münden. Gegenstand der Ermittlungen ist die Frage nach einer Verletzung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung. Auch der israelische Siedlungsbau wurde aufgegriffen, mithin seine Einstellung gefordert. Zwar weisen IGH-Gutachten nach dem 4. Kapitel des IGH-Statuts des IGH keine Bindungswirkung auf, sind aber durchaus von indiziellem Charakter. Inhaltlich werden ihnen keine Grenzen gesetzt, jedoch können sie nur von UN-Organen angefordert werden. Quellen und weitere Informationen: UN Resolution, taz, ORF



Systemische Verschlechterungen


Weltweiter Anstieg von SLAPPs Strategic lawsuits (litigations) against public participation (kurz: SLAPP), z.D. strategische Klagen gegen öffentliche Teilnahme, verzeichnen seit einigen Jahren einen Aufwärtstrend. Sie stehen für eine rechtsmissbräuchliche Form der Klage, mit deren Erhebung Klagende intendieren, unliebsame Stimmen verstummen zu lassen oder sich öffentlich äußernde Kritiker:innen mundtot zu machen. In der Regel machen sich Unternehmen, aber auch Privatpersonen und Behörden, diese Klage zu eigen, um gezielt NGOs oder andere Individuen an der Publikmachung unliebsamer Inhalte zu hindern. Dabei wird nicht unbedingt ein günstiges Urteil forciert, als vielmehr versucht, durch den Aufwand von Zeit und Geld, den Beklagte zu tragen genötigt sind, einen Effekt der sukzessiven Zermürbung zu erreichen. Diese Prozesse sind durch ein gravierendes Missverhältnis gekennzeichnet: Während Kläger:innen, wie Unternehmen, häufig über Macht und große finanzielle Ressourcen verfügen, treten auf Beklagtenseite in der Regel Individuen auf, die derlei Prozesse kaum zu stemmen in der Lage sind. Einschüchterung lautet also die Devise. Der Vorwurf geht meist auf Verleumdung, üble Nachrede. Dabei werden auch Gesetze ausgehöhlt, Gerichte instrumentalisiert. Letztlich zielen SLAPPs auf eine Beschränkung der freien Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der freien Verbreitung von Informationen - kurzum: elementare Menschenrechte. Quellen und weitere Informationen: humanrights, SLAPP, UK Parliament, Umweltinstitut



Ausblick und Aktuelles


Inhaftierungen nach COVID-Protesten in China In Deutschland rücken die Themen rund um die Corona-Pandemie immer weiter in den Hintergrund, die "Normalität" ist mehr oder weniger wieder hergestellt. Anders in China: Dort geht es seit dem Ende der "Null-COVID-Politik" erst richtig los. Als zu Ende des letzten Jahres etliche Menschen gegen Chinas "Null-COVID-Politik" mit den White Paper Protests auf die Straße gingen, hielten sich die Sicherheitskräfte noch ungewöhnlich stark zurück. Nur wenige Tage später wurden überraschend nahezu alle COVID-Maßnahmen aufgehoben und das Virus auf die ungeschützte Bevölkerung losgelassen. Erst einige Wochen nach den Protesten begann die Polizei, Demonstrierende, darunter Studierende und Journalist:innen, zu den Protesten zu vernehmen und zu inhaftieren. Der Vorwurf der im Zuge dessen erhobenen Anklagen lautet häufig "Streit angefangen und Ärger provoziert" zu haben - ein denkbar vager Straftatbestand, der gem. Art. 293 des chinesischen Strafgesetzbuches bei Ersttäter:innen bis zu fünf Jahren Haft nach sich ziehen kann und von den Sicherheitsbehörden oftmals eingesetzt wird, um friedliche Proteste oder Regierungskritik im Internet zu bestrafen. Über die Umstände und konkreten Maßnahmen weiß keiner so wirklich Bescheid, die Familien der Inhaftierten geben keine Auskunft bzw. werden dazu angehalten, keine zu geben. Einige der Inhaftierten wurden wieder entlassen, andere werden auf unbestimmte Zeit festgehalten. Dieses Vorgehen zeigt wieder einmal die systematische Repression und Verängstigung der chinesischen Bevölkerung durch die regierende Kommunistische Partei auf, um Proteste und Demonstrationen vor allem junger Leute zu unterdrücken. Quellen und weitere Informationen: FAZ, Human Rights Watch, New York Times



Neues vom Verein


Recherche zur Menschenrechtslage in Katar Unsere zuletzt abgeschlossene Recherche zur Menschenrechtslage in Katar ist nun online! Sie beleuchtet v.a. die Situation von Gastarbeiter:innen im Hinblick auf de Fußball-Weltmeisterschaft 2022, wie zB die Arbeitsbedingungen, das Kafala-System und Katars vertragliche Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte. Hier könnt ihr das Dokument lesen und downloaden.



Veranstaltungs-Hinweis: Krieg in der Ukraine Am 24. Februar jährt sich der Einfall russischer Truppen in die Ukraine zum ersten Mal. Nachdem wir im letzten Jahr die aktuelle, historische und völkerrechtliche Lage mit Professoren der LMU und Journalist:innen beleuchtet haben, planen wir nun, in einer kommenden Veranstaltung das vergangene Jahr zu resümieren. Die Veranstaltung wird voraussichtlich in Präsenz in Räumen der Ludwig-Maximilians-Universität München stattfinden und über Zoom gestreamed werden. Weitere Updates werden wir über unsere Social Media-Kanäle (siehe unten) veröffentlichen - stay tuned.








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