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Newsletter im Juli 2022

Unser monatlicher Rundumblick zum Thema Menschenrechte


Herzlich Willkommen zu unserem Newsletter im Juli 2022 – wir freuen uns sehr, dass Du dabei bist!


Über uns: Als Student Division sind wir zwar unserer Mutterorganisation Lawyers Without Borders (LWOB) angehörig, agieren aber autonom und organisieren uns eigenständig. Wir arbeiten unserer Mutterorganisation zu und stehen in Zusammenarbeit mit deutschen und europäischen Organisationen. LWOB ist eine NGO mit Sitzen in Großbritannien, Kenia, Tansania und den USA. Ausschlaggebend für die Gründung war die Idee, Anwält:innen weltweit für Human Rights Work zu motivieren und ein globales pro bono-Netzwerk zu schaffen, das auf der ganzen Welt einen Zugang zu Recht garantiert. Mit unserem monatlich erscheinenden Newsletter möchten wir einen Einblick in unsere Tätigkeiten geben, laufende Projekte vorstellen und insbesondere Neuigkeiten zu Menschen- und Grundrechten auf der ganzen Welt teilen - besonders solche, die oftmals unbeachtet bleiben.


Disclaimer: Wir haben uns der Aufklärung im Bereich der Menschen- und Grundrechte verschrieben und sind weder politisch noch übernehmen wir Gewähr für Richtigkeit oder Vollständigkeit für die Rubrik „Neuigkeiten im Bereich Menschenrechte“. Die Inhalte der Beiträge wurden mit größter Sorgfalt erstellt.Quellen und Literatur wurden bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des jeweiligen Beitrags geprüft und berücksichtigt. Darüber hinaus distanzieren wir uns von jeglichen weiteren und zukünftigen Inhalten der angegebenen Websites und Institutionen.




Neuigkeiten im Bereich Menschenrechte


Urteile nationaler Spruchkörper

Abtreibung und Frauenrechte in El Salvador "Der salvadorianische Staat hat einmal mehr seine Wut an Frauen ausgelassen, die weder die Rechte noch die Voraussetzungen haben, um sich zu verteidigen", erklärte Morena Herrera, Leiterin der feministischen Bürgerinnengruppe für die Entkriminalisierung der Abtreibung in El Salvador. Dabei nimmt sie Bezug auf eine Gerichtsentscheidung in El Salvador vom 29. Juni, in dem Lesly Lisbeth Ramírez zu 50 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Staatsanwaltschaft gab an, dass Ramírez ihr Neugeborenes getötet haben soll. Die Verteidigung hingegen wies die Anschuldigungen zurück und argumentierte, die damals 19-Jährige habe ihr Kind unbeabsichtigt verloren. Das Abtreibungsrecht in El Salvador ist eines der restriktivsten weltweit. Seit dem Jahre 1997 sind Abtreibungen unter jeden Umständen verboten. Hintergrund ist der massive Einfluss der katholischen Kirche und auch evangelikaler Fundamentalisten auf die Politik des Landes. "Die Kriminalisierung von Abtreibungen auch im Falle der Vergewaltigung und bei der Gefahr für das Leben verletze das Recht auf Selbstbestimmung. Das totale Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen stelle von daher ganz klar eine Menschenrechtsverletzung dar", sagt Katharina Masoud von Amnesty International. Darüber hinaus werden Frauen aber auch bei Fehlgeburten wie auch bei gynäkologischen Notfällen zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt. Das nationale Recht spricht von „Verbrechen im Zusammenhang mit einem Menschenleben“. Laut der Heinrich-Böll-Stiftung standen allein zwischen den Jahren 2000 und 2019 181 Frauen aufgrund dessen unter Anklage. Häufig sind auch Frauen aus ländlichen Gebieten mit geringer Bildung und ohne Zugang zu modernen Verhütungsmitteln von den Urteilen betroffen. Darüber hinaus werden viele Frauen nicht für die Abtreibung selbst, sondern wegen Mordes verurteilt. So auch im Fall Ramírez am 29. Juni. Hierbei wurde erstmals die Höchststrafe von 50 Jahren verhängt. Vor kurzem verkündete der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR) ein Urteil gegen den Staat El Salvador im Fall "Manuela". Manuela wurde wegen einer Fehlgeburt zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie lebte bereits 20 Jahre in Gefangenschaft, verstarb dann im Jahre 2010 an Lymphdrüsenkrebs. Das Gerichte urteilte, dass die Festsetzung „willkürlich“ gewesen und das Recht auf Unschuldsvermutung verletzt habe. Außerdem sei der Fall nicht ordnungsgemäß geprüft worden, was auf „Vorurteile und negative Geschlechtsstereotype“ zurückzuführen sei. Der IACHR verpflichtete El Salvador, seine Abtreibungsgesetze zu reformieren. Gynäkologische Notfälle dürfen nicht automatisch strafrechtliche Konsequenzen haben. Außerdem ist aktuell ein weiterer Fall beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig, dessen Entscheid von Aktivistinnen mit großer Hoffnung erwartet wird. Quellen und weitere Informationen: BBC, Deutschlandfunk, Inforadio, Spiegel, ZDF

Neuigkeiten internationaler Spruchkörper und Organisationen

EGMR: Konventionsverstoß der Türkei Auf das Urteil des EGMR aus dem Jahre 2019, in dem dieser die Inhaftierung des türkischen Kulturförderers O. Kavala als politisch deklariert und im Zuge dessen seine sofortige Freilassung gefordert hatte, beging die Türkei durch die Nichtbefolgung dieser Anordnung einen Konventionsverstoß. Dies entschied der EGMR in seinem jüngsten Urteil. Ende letzten Jahres wurde ein Vertragsverletzungsverfahren initiiert, welches in einem Ausschluss der Türkei aus dem Europarat münden könnte, was in der Geschichte des Europarats beispiellos wäre. Quellen und weitere Informationen: Europarat, Zeit

EGMR: Griechenland muss Geflüchtete entschädigen Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Griechenland in den zentralen Anklagepunkten zum Bootsunglück vor Farmakonisi im Januar 2014 verurteilt. Bei einer Push-Back-Operation der griechischen Küstenwache starben drei Frauen und acht Kinder aus Afghanistan. Der EGMR verurteilte Griechenland wegen Art. 2 EMRK (Verletzung des Rechts auf Leben) und Art. 3 EMRK (unmenschliche erniedrigende Behandlung) zur Zahlung von einer Entschädigung an die Angehörigen in Höhe von insgesamt 330.000 Euro. Der EGMR bestätigte die Missachtung der internationalen Standards der Seenotrettung durch die Küstenwache. Nach Angaben der Überlebenden versuchte das griechische Schiff, das Boot der Geflüchteten mit insgesamt 27 Personen an Bord zurück in türkische Gewässer zu drängen. Durch die hohe Geschwindigkeit des Schiffs der Küstenwache kenterte das Boot der Geflüchteten. Laut den griechischen Behörden wurde das Boot hingegen in Richtung Farmakonisi geschleppt und kenterte wegen Bewegungen und Unruhe der Personen an Bord. Unabhängig von dem konkreten Hergang des Vorfalls: Die Küstenwache verteilte weder Rettungswesten noch wurden die Geflüchteten an Bord geholt, um sie vor dem Ertrinken zu bewahren. Ein Notruf sei erst zwölf Minuten nach dem Kentern des Bootes gesendet worden. Laut dem EGMR gibt es "keine Erklärung dafür, warum die Küstenwache kein geeigneteres Boot anforderte, um die Geflüchteten retten zu können". Die Verletzung von Art. 3 EMRK ereignete sich in einem anschließenden Geschehen: Nach dem Unglück wurden zwölf Überlebende einer körperlichen Untersuchung unterzogen. Deren Notwendigkeit konnten die griechischen Behörden nicht hinreichend darlegen. Quellen und weitere Informationen: Urteil des EGMR, LTO, proasyl, rswbeck


Systemische Verschlechterungen

Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan unter den Taliban Im August 2021 übernahmen die Taliban die Kontrolle in Afghanistan. Zwar bekundeten sie, sie würden Menschenrechte achten und den Standard dieser hochhalten. Jetzt, fast ein Jahr später, ist klar, dass dies nicht der Fall ist. Insbesondere Frauen und Mädchen sind betroffen. Mädchen dürfen ab der siebten Klasse nicht mehr zur Schule gehen. Frauen können sich weniger frei bewegen und arbeiten. Außerdem stieg auch die Zahn von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. So kam es laut UN-Berichten zu 87 mutmaßlichen Fällen von Mord, Vergewaltigung, Körperverletzungen und Zwangsheirat. Widerstand wird durch Einschüchterungen, Verhaftungen und sogar Tötungen im Keim erstickt. Die Vereinten Nationen sprechen von 160 Fällen außergerichtlicher Tötungen, 56 Fällen von mutmaßlicher Folter und 170 willkürlichen Festnahmen. Eingesetzt werden Schläge mit Kabeln, Rohren und Elektroschocks. Quellen und weitere Informationen: farang, tagesschau

Vollstreckung von Todesurteilen in Myanmar In Myanmar wurde in diesem Monat zum ersten Mal seit den 1980er-Jahren die Todesstrafe vollstreckt. Vier Männer wurden von einem Militärgericht unter Geheimhaltung der Prozesse bereits im Januar zum Tode verurteilt, darunter ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter (und Mitglied der Partei von Aung San Suu Kyi) und ein Demokratieaktivist. Alle vier Männer haben sich seit Jahrzehnten öffentlich für ein freies und demokratisches Myanmar eingesetzt. Als Grund für die Verurteilung wurden Straftaten im Zusammenhang mit Einsatz von Sprengstoff, Bombenanschlägen und der Finanzierung von Terrorismus gemäß dem Anti-Terror-Gesetz angegeben. Durch den Erlass einer Kriegsrechtsverordnung können die Militärgerichte in Myanmar Zivilpersonen im Schnellverfahren verurteilen. Die Möglichkeit zur Anfechtung der Urteile besteht nicht. Seit dem Militärputsch und dem Sturz der Regierung im Februar 2021 haben Folter und Verurteilungen zum Tode in Myanmar drastisch zugenommen. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich stark gegen die Verurteilungen ausgesprochen und forderte die Militärjunta Myanmars auf, von weiteren Hinrichtungen abzusehen und die Gewalt gegen das eigene Volk zu beenden. Mehr als zwei Drittel der Länder der Erde haben die Todesstrafe gesetzlich oder praktisch bereits abgeschafft - Myanmar gehört nun nicht mehr dazu. Quellen und weitere Informationen: Amnesty, faz, tagesschau


Ausblick und Aktuelles

Gerichtsbarkeit des Völkerstrafrechts – Bewährungsprobe in der Ukrainekrise? Wie Russlands Präsident W. Putin für Kriegsverbrechen, wie das Massaker von Butcha, innerhalb des Krieges, der seit Beginn des Jahres 2022 in der Ukraine wütet, zur Verantwortung gezogen werden kann, ist in der Materie der Gerichtsbarkeit des Völkerstrafrechts angesiedelt. Das ihm immanente Weltrechtsprinzip erlaubt es Strafverfolgungsbehörden auf der ganzen Welt Ermittlungen wegen besonders abscheulichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie Kriegsverbrechen, einzuleiten. Daher wollen wir uns in diesem Newsletter ausnahmsweise ebendiesem Rechtszweig widmen, im Speziellen seiner Historie, Praktikabilität, seiner Zukunftsfähigkeit. Nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs wurde erstmals ein Gerichtshof durch die alliierten Siegermächte eingesetzt, welcher mit der Verurteilung der deutschen Hauptkriegsverbrecher der Nürnberger Prozesse betraut war, der im Jahre 1945 begründete Internationale Militärgerichtshof (IMG). Erstmals wurden so individuelle Anklagen wegen begangener Kriegsverbrechen möglich. Vier Jahre später forderte im Jahre 1949 die in der UN eingesetzte Völkerrechtskommission die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, jedoch wurde dieses Unterfangen bedingt durch den Kalten Krieg erstmal zurückgestellt. Inwiefern ein solcher Strafgerichtshof in den nachfolgenden Konflikten in Ruanda und Jugoslawien die rechtliche Verfolgung begünstigt hätte, bleibt offen, stattdessen mussten die dort begangenen Kriegsverbrechen vor sog. ad-hoc-Straftribunalen aufbereitet werden. Doch sowohl das Jugoslawien- als auch das Ruanda-Tribunal konnten den Umfang der sich ankündigenden Verfahren nicht auffangen, sodass auch nationale Gerichte mit eingebunden wurden. Bis heute sind noch einige Verfahren anhängig. Erst im Jahre 2002 wurde der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag durch das Rom-Statut von 1998 ins Leben gerufen. Seitdem verfolgt der IStGH solche Verbrechen, die von Mitgliedern eines der 127 IStGH-Vertragsstaaten oder auf deren Territorium begangen worden sind. Zwar könnten auch gemäß dem Weltrechtsprinzip die Länder selbst eine universelle Strafverfolgung aufnehmen, doch scheitert dies oft an innerstaatlichen Hürden, angefangen bei defizitären Rechtsstaatsvoraussetzungen hin zu mangelnden Kapazitäten innerhalb der Gerichtsstrukturen. Doch auch hier wendet sich allmählich das Blatt, man denke an das Verfahren zu Verbrechen im syrischen Bürgerkrieg vor dem OLG Koblenz. Welche Rolle das Völkerstrafrecht im Ukrainekrieg einnehmen wird, bleibt abzuwarten; mittlerweile haben sich 39 Staaten zur ermittlungstechnischen Aufbereitung der Ereignisse an den IStGH gewandt. Quellen und weitere Informationen: Friedenskooperative, Spiegel, Verfassungsblog


Neues vom Verein

Bericht zur Veranstaltung: Iran-Forum am 28. Juni Gemeinsam mit der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) veranstaltete LWOB - Student Division an der LMU am 28. Juni 2022 in der Seidlvilla in München das Iran-Forum. Ziel der Veranstaltung war es, in zwei verschiedenen Panels über die Menschenrechtsverletzungen und strukturellen Probleme der Rechtsstaatlichkeit in der Islamischen Republik Iran zu informieren. Neben 70 Teilnehmern vor Ort waren zahlreiche weitere Expert:innen und Gäst:innen online zugeschaltet, sodass insgesamt knapp 100 Personen Teil dieser hybriden Veranstaltung sein konnten. Das erste Panel widmete sich der mangelnden Rechtsstaatlichkeit für politisch Gefangene im Iran. Im Fokus stand dabei die Dokumentation konkreter Einzelfälle sowie die Aufarbeitung systematischer Verletzungen international anerkannter Rechtsnormen durch sogenannte Revolutionsgerichte. Neben einigen Expert:innen kamen insbesondere auch Angehörige von politisch Inhaftierten zu Wort, welche auf die dramatischen und menschenverachtenden Zustände in der iranischen Justiz und insbesondere deren Strafvollzug aufmerksam machten. Wir als Student Division von LWOB werden uns – wie im Juni-Newsletter bereits angekündigt – mit der Situation von politisch Gefangenen im Iran weiter befassen. Gemeinsam mit der IGFM arbeiten wir aktuell an einer Recherche, in welcher wir mit Hilfe von Angehörigen auf die systematischen Probleme des iranischen Rechtssystems sowie auf schockierende Einzelschicksale von politisch Gefangenen aufmerksam machen wollen. Der nächste Themenblock des Iranforums widmete sich der der Abschiebung iranischer christlicher Konvertiten. Im Zentrum stand dabei insbesondere eine kritische Auseinandersetzung mit der Abschiebepraxis deutscher Behörden, welche hierbei oftmals zu unlauteren Mitteln greifen. Beleuchtet wurde hierbei auch das iranische System, welches Andersgläubige diskriminiere und verfolge, weil es die Deutungshoheit über Glaubensfragen für sich beanspruche und anderweitige Werte ablehne. In einem zweiten Panel erfolgte eine Betrachtung der Frauenrechte insbesondere im Lichte der Scharia im iranischen Recht. In dem Zusammenhang wurde auch die Bedeutung der Scharia als Quelle iranischer Justiz erörtert und von verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Vor allem Frauen haben im Iran unter den zum Teil barbarischen Normen und Gesetzen der Scharia zu leiden. Noch immer stehen grausame Strafmittel wie Steinigungen oder Peitschenhiebe im Iran auf der Tagesordnung. Es wurde sich in diesem Zuge jedoch auch der Frage gewidmet, welche Ansätze und Bewegungen es gibt, diesem grausamen System entgegenzuwirken. Die Veranstaltung endete mit einer Diskussionsrunde sowie der Aufforderung an alle Anwesenden sensibler mit den Menschenrechtsverletzungen im Iran und weltweit umzugehen. Wir als Student Division von LWOB bedanken uns hiermit nochmals bei der IGFM für die Möglichkeit der Realisierung dieser – und hoffentlich weiterer – Veranstaltungen. Weitere Informationen zu der Veranstaltung und den Redebeiträgen der einzelnen Panelteilnehmer finden Sie in dem ausführlichen Bericht der IGFM unter diesem Link.






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