Newsletter im September 2025
- lwob_lmu

- 11. Okt.
- 15 Min. Lesezeit
Unser monatlicher Rundumblick zum Thema Menschenrechte
Herzlich willkommen zu unserem Newsletter im September – wir freuen uns sehr, dass Du dabei bist!
Über uns: Als Student Division sind wir zwar unserer Mutterorganisation Lawyers Without Borders (LWOB) angehörig, agieren aber autonom und organisieren uns eigenständig. Wir arbeiten unserer Mutterorganisation zu und stehen in Zusammenarbeit mit deutschen und europäischen Organisationen. LWOB ist eine NGO mit Sitzen in Großbritannien, Kenia, Tansania und den USA. Ausschlaggebend für die Gründung war die Idee, Anwält:innen weltweit für Human Rights Work zu motivieren und ein globales pro bono-Netzwerk zu schaffen, das auf der ganzen Welt einen Zugang zu Recht garantiert. Mit unserem monatlich erscheinenden Newsletter möchten wir einen Einblick in unsere Tätigkeiten geben, laufende Projekte vorstellen und insbesondere Neuigkeiten zu Menschen- und Grundrechten auf der ganzen Welt teilen - besonders solche, die oftmals unbeachtet bleiben.
Disclaimer: Wir haben uns der Aufklärung im Bereich der Menschen- und Grundrechte verschrieben und sind weder politisch noch übernehmen wir Gewähr für Richtigkeit oder Vollständigkeit für die Rubrik „Neuigkeiten im Bereich Menschenrechte“. Die Inhalte der Beiträge wurden mit größter Sorgfalt erstellt. Quellen und Literatur wurden bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des jeweiligen Beitrags geprüft und berücksichtigt. Darüber hinaus distanzieren wir uns von jeglichen weiteren und zukünftigen Inhalten der angegebenen Websites und Institutionen. Aufgrund der höheren Lesbarkeit mit Rücksicht auf sehbehinderte Menschen haben wir uns für den Gender-Doppelpunkt entschieden. LWOB steht für alle Formen der geschlechtlichen Vielfalt ein. Für diesbezügliches Feedback könnt ihr euch gerne an die Ressortleiter:innen wenden.
Neuigkeiten im Bereich Menschenrechte
Neuigkeiten nationaler Spruchkörper und Organisationen
BVerfG erklärt “Anom-Daten” als Beweismittel für verwertbar (BVerfG, Beschl. v. 23.09.2025, Az. 2 BvR 625/25)
Das FBI verteilte Kryptohandys mit einer angeblich abhörsicheren Messaging-App “Anom” gezielt an Kriminelle – Informationen, die Ermittler über die App gewannen, unterliegen gem. dem BVerfG (Bundesverfassungsgericht) keinem Beweisverwertungsverbot. Trotz einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung jedes Anom-Geräts verfügte das FBI ohne Wissen der Nutzer über die für die Entschlüsselung notwendigen Codes und konnte Millionen von Nachrichten aus mehr als 100 Ländern abfangen. Weltweit führten die dadurch gewonnenen Daten zu zahlreichen Festnahmen – allein in Deutschland wurden über 860 Ermittlungsverfahren eingeleitet, vor allem im Bereich der Drogenkriminalität.
Das FBI hatte die Software so programmiert, dass sie Nachrichten von Nutzer:innen aus den USA automatisch aussortierte, um rechtliche Hürden zu umgehen, deswegen stand auch der zentrale Server in Litauen. Dadurch benötigte das FBI die dortigen Behörden, um an die Daten zu gelangen und auszuwerten zu können.
Es wird jedoch kritisiert, dass der litauische Gerichtsbeschluss dazu unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erwirkt worden sein könnte, wie FAZ-Recherchen ergeben haben: der litauischen Ermittlungsrichterin sei verschwiegen worden, dass das FBI den Kryptodienst selbst entwickelt und in Umlauf gebracht hatte, und dass der Server der App von der litauischen Polizei im Auftrag des FBI gemietet worden war. Der gerichtliche Beschluss wurde weder deutschen Gerichten, noch dem BGH vorgelegt, der die Verwertung der Chats dennoch erlaubte.
Ein in Deutschland verurteilter Beschwerdeführer legte Verfassungsbeschwerde ein. Er argumentierte, dass die aus Anom stammenden Beweise unverwertbar seien und sein Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzen. Trotz der Enthüllungen über die Täuschung sieht das BVerfG keine verfassungsrechtlichen Probleme. Zwar räumte es ein, dass Herkunft und Inhalt der ausländischen Beschlüsse unbekannt seien, hält dies aber – ebenso wie zuvor der BGH – für unbedenklich. Nach Auffassung des Gerichts kommt es nicht auf die Rechtmäßigkeit der litauischen Beschlüsse an, solange keine konkreten Hinweise auf Menschenrechtsverstöße bestehen. Zudem sah das BVerfG keine Hinweise für eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren.
Jens Ferner, Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht, sieht diese Argumentation vor dem Hintergrund der Irreführung der litauischen Justiz wie eine Aushöhlung rechtsstaatlicher Grundsätze. Er kritisiert insbesondere, dass der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens, der eigentlich Gerichten vorbehalten ist, auf Ermittlungsbehörden ausgedehnt und so die Kontrolle der Exekutive durch die Justiz faktisch ausgehebelt wird. Damit geraten auch die Grundsätze der Gewaltenteilung und das Recht auf ein faires Verfahren unter Druck. Die Justiz folgt dabei der Linie des BGH, wonach Beweisverwertungsverbote keine disziplinierende Wirkung auf Ermittlungsbehörden entfalten müssten. Damit entsteht eine „Blackbox“, in der sich die Entstehung von Beweismitteln der gerichtlichen Überprüfung entzieht – und Verteidigungsrechte ausgehöhlt werden.
Der EuGH hatte im Gegensatz dazu im Fall EncroChat (C-670/22) betont, dass Beweise, deren Integrität oder Entstehung sich der Verteidigung entzieht, nicht verwertet werden dürfen. Dass deutsche Gerichte dennoch auf bloßes Vertrauen in Ermittlungsbehörden setzen, lässt bei Fachanwalt Ferner Zweifel an der rechtsstaatlichen Substanz der aktuellen Praxis aufkommen.
Durch die Rechercheergebnisse der FAZ stellt sich die vom BVerfG noch nicht erörterte Frage der möglichen Wiederaufnahme von Strafverfahren. Matthias Jahn, Strafrechtsprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sieht für solche Wiederaufnahmeverfahren jedoch hohe Hürden. Er erklärt es jedoch für wahrscheinlich, dass gegen das BVerfG-Urteil nunmehr vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Rechtsschutz gesucht wird – die Frage der Verwertbarkeit von Anom-Daten ist somit trotz der Entscheidung des BVerfG noch nicht abgeschlossen.
Quellen und weitere Informationen: Tagesschau mit Matthias Jahn, RSW Beck mit Jens Ferner, LTO, BVerfG, Beschl. v. 23.09.2025, Az. 2 BvR 625/25, EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az. C-670/22
Neuigkeiten internationaler Spruchkörper und Organisationen
UN-Kommission erhebt schwere Vorwürfe gegen Israel im Gaza-Konflikt
Eine unabhängige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats wirft Israel vor, im Gazastreifen Völkermord zu begehen. Nach Einschätzung der Kommission, die 2021 zur Prüfung möglicher Völkerrechtsverletzungen in den besetzten palästinensischen Gebieten und Israel eingerichtet wurde, sind vier der fünf Tatbestände erfüllt, die in der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 definiert sind – die Konvention trat 1951 als Folge des von Nazi-Deutschland ausgehenden Holocausts in Kraft, deren Opfer bis zu sechs Millionen Juden und Jüdinnen zählt.
Die Verantwortung dafür liege bei der höchsten politischen Ebene Israels. Der Bericht der UN untersucht die Ereignisse seit dem Angriff der militant-extremistischen Hamas und anderer Extremisten auf Israel am 7. Oktober 2023.
Zu den im Bericht genannten erfüllten Tatbeständen nach Art. II der UN-Konvention zählen Tötungen, schwere körperliche oder seelische Schädigungen, die vorsätzliche Schaffung von Lebensbedingungen zur teilweisen oder vollständigen Zerstörung der palästinensischen Bevölkerung sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten. Laut dem UN-Bericht werden Zivilisten getötet, humanitäre Hilfe blockiert und zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und religiöse Stätten systematisch zerstört. Nach Angaben der Hamas sind bislang mehr als 64.000 Menschen im Gazastreifen getötet worden.
Die Kommission sieht zudem Anhaltspunkte für einen besonderen Vorsatz („dolus specialis“) und verweist auf ein Muster im Verhalten politischer und militärischer Behörden Israels. Vorsitzende der Kommission ist Navi Pillay, ehemalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und frühere Richterin am Internationalen Strafgerichtshof. Pillay sagt, Israel führe seit fast zwei Jahren eine „völkermörderische Kampagne“ gegen die Hamas in Gaza. Beweismittel für die Vorwürfe seien Interviews mit Opfern und Zeugen, Satellitenbilder und öffentlich zugängliche Dokumente. Die Kommission bewertet außerdem Äußerungen israelischer Regierungsvertreter als direkten Beweis für eine völkermörderische Absicht. In einem Brief aus dem November 2023 habe Israels Premierminister Benjamin Netanjahu den Einsatz im Gazastreifen mit einem – wie die Kommission es beschreibt– „heiligen Krieg der totalen Vernichtung“ aus der hebräischen Bibel verglichen. Auch Präsident Izchak Herzog und Ex-Verteidigungsminister Joav Gallant werden namentlich erwähnt.
Israel weist die Vorwürfe scharf zurück. Der israelische Botschafter in Genf, Daniel Meron, sprach von einer „verleumderischen Tirade“ und warf der Kommission antisemitische Tendenzen vor. Israel und die USA erkennen den UN-Menschenrechtsrat nicht als Autorität an und kritisieren ihn regelmäßig als voreingenommen gegenüber Israel. Israel betont, es bekämpfe ausschließlich die Hamas, nicht die Zivilbevölkerung, und verweist auf das fortbestehende Recht auf Selbstverteidigung. Der Krieg könne enden, wenn die Hamas die verbliebenen 48 Geiseln freilasse. Parallel läuft vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein Verfahren wegen Völkermordvorwürfen gegen Israel. Laut israelischer Regierung handelt es sich dabei um unbegründete Anschuldigungen.
Die deutsche Bundesregierung teilt den Genozidvorwurf der UN-Kommission nicht – Europa-Staatsminister Gunther Krichbaum sagte, die humanitäre Versorgung in Gaza sei zwar zutiefst besorgniserregend, jedoch kein Genozid und dem Urteil würde sich die Regierung deswegen nicht anschließen.
Anderer Meinung sind der Völkerrechtler Kai Ambos von der Universität Göttingen und Stefanie Bock, Professorin für Internationales Strafrecht in Marburg: in einem Aufsatz für die Deutsche Richterzeitung schreiben sie, dass „die Dynamik des Konfliktgeschehens in einer Gesamtschau mittlerweile eher für statt gegen einen Genozid“ spreche.
Quellen und weitere Informationen: ZEIT, Tagesschau mit Kai & Stefanie Bock
OSZE wirft Russland Folter und Hinrichtungen von Kriegsgefangenen vor; Russland tritt aus Europäischer Anti-Folter-Konvention aus
Ein aktueller Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dokumentiert „weit verbreitete und systematische Verstöße“ gegen die Genfer Konventionen im Umgang mit ukrainischen Kriegsgefangenen. Laut einem von der OSZE entsandten Expertenteam zählen zu den dokumentierten Verstößen Folter, Misshandlungen, willkürliche Hinrichtungen sowie die Verweigerung fairer Gerichtsverfahren. Russland betrachte ukrainische Soldaten demnach grundsätzlich nicht als Kriegsgefangene, was bedeutet, dass sie wegen ihrer Teilnahme an Kampfhandlungen strafrechtlich verfolgt werden können.
Das Team dokumentierte eine hohe Zahl außergerichtlicher Tötungen und Hinrichtungen – sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in Haft. Das UN-Menschenrechtsbüro habe bis Mai 2025 Beweise oder glaubhafte Hinweise auf 194 Hinrichtungen gesammelt, zusätzlich gebe es Berichte über Tötungen in Gefangenenlagern. Zudem verwies der Bericht auf öffentliche Aussagen russischer Vertreter, die zu Gewalt gegen Kriegsgefangene aufgerufen hätten. So wird Dmitri Medwedew, der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, mit den Worten zitiert: „Sie haben kein Recht auf Leben. Hinrichten, hinrichten und hinrichten.“
Schätzungen zufolge sind seit Beginn des Krieges mindestens 13.500 ukrainische Soldaten in russische Gefangenschaft geraten. Etwa 6.800 wurden ausgetauscht, rund 6.300 befinden sich noch immer in Haft, während mindestens 169 in Gefangenschaft gestorben sein sollen.
Russland verweigerte auch eine Zusammenarbeit mit der Untersuchung. Insgesamt hatten 41 der 57 OSZE-Mitgliedstaaten die Einleitung der Untersuchung im Juli beantragt. Die OSZE forderte den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auf, Ermittlungen einzuleiten. Angesichts der umfassenden Dokumentation von Menschenrechtsverstößen sieht die Organisation dringenden Handlungsbedarf. Der IStGH untersucht bereits mutmaßliche Verschleppungen ukrainischer Kinder sowie Angriffe auf zivile Ziele.
Ende September ist Russland aus der Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ausgetreten. Präsident Wladimir Putin unterzeichnete ein entsprechendes Gesetz, nachdem das russische Parlament den Schritt mit einer angeblichen „Diskriminierung“ Russlands durch den Europarat begründet hatte. Der Europarat hatte Russland bereits 2022 nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgeschlossen. Die Entscheidung reiht sich in eine Serie von Rückzügen Moskaus aus internationalen Abkommen ein, darunter auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Menschenrechtsorganisationen und UN-Vertreter warnen seit Jahren vor systematischer Folter in russischen Gefängnissen und Straflagern. Laut einem aktuellen UN-Bericht wenden russische Truppen zudem in der Ukraine wiederholt sexualisierte Gewalt als Foltermethode gegen Zivilisten an.
Mit dem Austritt verliert das Straßburger Gremium die Möglichkeit, Haftbedingungen in Russland zu überwachen oder Inhaftierte zu besuchen. Zuvor konnte das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter auf russischem Territorium tätig werden und Vorwürfen nachgehen.
Quellen und weitere Informationen: ZEIT, Tagesspiegel, LTO, Spiegel
UN-Menschenrechtskommisar warnt vor Eskalation im Südsudan
Seit Jahresbeginn sind laut UN mindestens 1.854 Menschen getötet und 1.693 verletzt worden. Zudem habe es 423 Entführungen und 169 Fälle konfliktbedingter sexueller Gewalt gegeben – ein Anstieg der dokumentierten Opfer um 59 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die tatsächlichen Zahlen dürften jedoch höher liegen, da der Zugang zu den betroffenen Gebieten stark eingeschränkt ist. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, zeigte sich zutiefst besorgt über die Lage im Südsudan. Angesichts zunehmender Gewalt und politischer Spannungen Türk die grassierende Gewalt als „untragbar“ und forderte die Regierung sowie die internationale Gemeinschaft auf, alles zu tun, um das Land „vom Rand des Abgrunds wegzuziehen“. Unterdessen hat sich auch die Lage auch politisch verschärft: Gegen Vizepräsident Riek Machar wurde ein Verfahren wegen eines Milizenangriffs eingeleitet, kurz darauf setzte Präsident Salva Kiir ihn per Dekret ab. Machar steht nun wegen schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verrats, Verschwörung, Terrorismus und Mordes vor Gericht, weist die Vorwürfe jedoch zurück. Seine Anhänger vermuten hinter dem Verfahren ein politisches Manöver.
Der Südsudan, der 2011 seine Unabhängigkeit erlangte, war bereits zwischen 2013 und 2018 von einem blutigen Bürgerkrieg erschüttert, bei dem rund 400.000 Menschen starben. Trotz mehrerer Friedensabkommen bleibt die Lage instabil, und laut den Vereinten Nationen nimmt die Gewalt seit Monaten wieder zu. Die Armee soll dabei „wahllose Angriffe“ auf zivile Gebiete geflogen haben, während Konflikte zwischen Clans und Volksgruppen weiter zunehmen.
Quellen und weitere Informationen: ZEIT
UN-Bericht: Menschenrechtslage in Nordkorea bleibt auch nach zehn Jahren alarmierend
Ein aktueller Bericht des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) kommt auf Grundlage von 314 Interviews mit Geflüchteten aus Nordkorea und der Auswertung externer Expertisen und Organisationsberichte, dass sich die Menschenrechtslage in der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) im Vergleich zu der Lage vor einem Jahrzehnt in vielen Bereichen verschlechtert hat. Zwar habe Nordkorea in jüngerer Zeit zwei weitere Menschenrechtsabkommen ratifiziert und vereinzelt Fortschritte bei den Haftbedingungen gezeigt, doch insgesamt bleibt das Land laut OHCHR weiterhin eines der isoliertesten und repressivsten der Welt. Sprecherin Liz Throssell erklärte in Genf, die Entwicklungen hätten „der Bevölkerung noch mehr Leid gebracht“.
Laut James Heenan, Leiter des UN-Büros für Nordkorea, werden selbst geringfügige Vergehen mit extremer Härte geahndet. Es gebe „glaubwürdige Beweise, dass Menschen hingerichtet wurden – nicht nur für das Ansehen von K-Dramen, sondern für das Verbreiten ausländischer Medien und Informationen“. Neue Gesetze und Praktiken führten zu einer verstärkten Überwachung, Zensur und Kontrolle der Bevölkerung. Viele Bürger:innen landen als politische Gefangene in Zwangsarbeitslagern. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche. In sogenannten „Schockbrigaden“ zwingt das Regime laut Bericht tausende Waisen und Straßenkinder zur Arbeit in Kohleminen oder auf Feldern – oft unter gefährlichen Bedingungen und ohne Schutz. Auch Schüler:innen müssen während der Schulzeit „rückenbrechende“ Feldarbeit leisten, die offiziell als Unterricht in „Lebenskompetenzen“ bezeichnet wird. Heenan betont jedoch, dass diese Praktiken die Kriterien von Zwangsarbeit erfüllen, da die Kinder keine Wahl hätten. Todesfälle sind häufig und anstatt die Sicherheit zu verbessern, verherrlicht die Regierung die Opfer öffentlich als „Helden des Führers“.
Die Todesstrafe bleibt ein zentrales Repressionsinstrument des Regimes. Laut Bericht wurden bereits 2014 und 2015 hochrangige Funktionäre wegen angeblicher „staatsfeindlicher Akte“ hingerichtet. Seit 2020 wird sie vermehrt auch gegen Zivilisten angewandt – etwa für den Besitz oder die Verbreitung nicht genehmigter Medien, für Drogen- oder Wirtschaftskriminalität, Prostitution oder Menschenhandel. In den vergangenen Jahren seien zudem mehrere neue Gesetze erlassen worden, die die Anwendung der Todesstrafe weiter ausdehnen, etwa für vage definierte „anti-staatliche Propaganda“. Zahlreiche Zeug:innen berichteten von öffentlichen Prozessen und Hinrichtungen, die gezielt zur Einschüchterung der Bevölkerung eingesetzt werden. „Um den Menschen Augen und Ohren zu verschließen, haben sie die Repression verstärkt“, heißt es in einer der Aussagen.
UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk zieht ein ernüchterndes Fazit: „Was wir erlebt haben, ist ein verlorenes Jahrzehnt. Wenn die DPRK auf ihrem derzeitigen Kurs bleibt, wird ihre Bevölkerung noch mehr Leid, brutale Unterdrückung und Angst ertragen müssen.“
Quellen und weitere Informationen: UN News
EuGH rechtliche Anerkennung des geänderten Geschlechts in Identitätsdokumenten (EuGH, Schlussanträge v. 04.09.2025, Az. C-43/24)
Der EuGH (Europäischer Gerichtshof) erkennt das Recht einer transsexuellen Frau in Bulgarien das Recht an, über Identitätsdokumente zu verfügen, die ihrer gelebten Geschlechtsidentität entsprechen. Dass ihre amtlichen Dokumente die Frau immer noch als Mann ausweisen, bereitet ihr im Alltag, insbesondere bei der Arbeitssuche, immer wieder Probleme. In Bulgarien ist es jedoch gesetzlich verboten, Geschlecht, Name und persönliche Identifikationsnummer in den Personenstandsurkunden zu ändern.
Die Frau klagte auf Anerkennung ihres weiblichen Geschlechts und Änderung ihrer Personenstandsdaten in der Geburtsurkunde – ihre Klage wurde jedoch von den bulgarischen Gerichten mit Verweis auf das geltende nationale Recht abgewiesen. Die Gerichte begründeten dies auch mit verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, die den Begriff “Geschlecht” nur im biologischen Sinn versteht. Gem. den bulgarischen Verfassungsrichtern müssten die Interessen transsexueller Personen hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Dieses öffentliche Interesse ergebe sich aus moralischen und/oder religiösen Prinzipien und Grundsätzen, welche wiederum den in der bulgarischen Gesellschaft etablierten Konzepten und Werten zugrunde liegen.
Der EuGH-Generalanwalt Jean Richard de la Tour bestätigte, dass diese Auslegung mit EU-Recht unvereinbar ist. Unabhängig davon, ob die betroffene Person eine operative Geschlechtsumwandlung nachweisen kann, muss eine rechtliche Anerkennung des geänderten Geschlechts durch eine Änderung der Identitätsdokumente möglich sein und wenn diese nicht geändert werden können, sei ggf. auch die Geburtsurkunde entsprechend anzupassen.
Dies lässt sich aus dem Recht auf Unversehrtheit der Person und dem Recht auf Achtung des Privatlebens ableiten.
Denn transsexuelle Personen laufen andernfalls Gefahr, bei Vorlage ihrer Ausweisdokumente Probleme zu bekommen, weil z.B. an der Echtheit der Dokumente gezweifelt werden könnte. Dies würde ihr Recht darauf beschränken, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten, eine Rechtfertigung dieser Beschränkung schloss Generalanwalt aus.
Das nationale Gesetz muss entweder unionsrechtskonform ausgelegt werden, oder soll in dem Fall der Frau nicht angewendet werden.
Quellen und weitere Informationen: RSW Beck, EuGH, Schlussanträge vom 04.09.2025, Az. C-43/24
Systemische Verschlechterungen
Der US-Supreme Court lässt verdachtsunabhängige ICE-Razzien in Los Angeles vorerst wieder zu; Kalifornien will die Vermummung von ICE-Beamten bei Razzien verbieten
Im Juli hatte die Bundesrichterin Maame Ewusi Mensah Frimpong im zentralen Bezirk von Kalifornien eine einstweilige Verfügung gegen sog. “Roving”-Einwanderungsrazzien im Raum Los Angeles erlassen. Den Behörden war es dadurch verboten, einen begründeten Verdacht allein oder überwiegend aus Kriterien wie ethnischer Herkunft, Sprache und Wohn- oder Arbeitsort abzuleiten – Kritiker sprechen in diesen Fällen von Racial Profiling. Die von Biden ernannte Richterin erklärte, dass die oben genannten Faktoren nur zusammen mit individuellen Beweisen für einen illegalen Aufenthalt berücksichtigt werden können. Zuvor wurden groß angelegte Razzien an zahlreichen Orten in Los Angeles unter Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen von teils schwer bewaffneten, maskierten und in Zivil- oder Militärkleidung gekleideten Grenzschutzeinheiten durchgeführt. Trotz der richterlichen Anordnung kam es weiterhin zu gezielten Razzien, welche teilweise verdeckt (unter Tarnung) durchgeführt wurden.
Der Supreme Court hat die Verfügung der Bundesrichterin nun aufgehoben, bis es eine inhaltliche Entscheidung in der Berufungssache gibt. Das Gericht hob auch die Urteile niedrigerer Instanzen auf, die bestimmte Teile von Trumps Einwanderungspolitik für verfassungswidrig erklärt hatten. Zwar betraf die Entscheidung des Supreme Courts nur sieben Bezirke in Südkalifornien, sie könnten jedoch als Billigung landesweiter verdachtsunabhängigen Kontrollen von Migrant:innen verstanden werden, insbesondere für Städte wie Chicago, Washington D.C. und Boston, wo die Regierung den Einsatz der Einwanderungsbehörden verstärkt hat.
In den sozialen Medien wurden viele Videos von vermummten Beamten verbreitet, die in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen durch Wohnviertel fahren und Migrant:innen festnehmen. Kritiker sehen dies als Entführungen auf offener Straße. Der demokratische kalifornische Gouverneur Gavin Newsom unterzeichnete nun ein Gesetz, welches Beamten jeder Bundesbehörde im Bundesstaat Kalifornien das Tragen von Gesichtsbedeckung jeglicher Form bei Einsätzen verbietet – die Beamten sollen klar identifizierbar sein. Vertreter der Trump-Regierung verteidigten die Verwendung von Masken und argumentieren damit, dass die Beamten in der Öffentlichkeit und im Internet heftigen Anfeindungen ausgesetzt sind. Das von Newsom unterzeichnete Gesetzespaket soll US-Medien zufolge ab dem Jahreswechsel gelten, zudem soll dadurch der besondere Schutz von Migrant:innen in Schulen und Krankenhäusern gewährleistet werden.
Allerdings ist unklar, ob ein Bundesstaat für Beamten des Bundes solche Regelungen erlassen kann und wie Kalifornien vorhat, sie umzusetzen.
Quellen und weitere Informationen: ZEIT, CNN, BBC, Deutschlandfunk, Berliner Morgenpost, Tagesschau
Ausblick und Aktuelles
Afghanistan: Vier Jahre ohne Schulbildung für Mädchen
Vor vier Jahren trat in Afghanistan das Bildungsverbot für Mädchen an weiterführenden Schulen in Kraft – einer von vielen massiven Menschenrechtsverstößen seit der Machtübernahme der Taliban. Millionen Mädchen bleibt seither der Zugang zu Bildung verwehrt. Eine von ihnen ist Fatima Amiri, die 2022 bei einem Anschlag auf ihre Schule in Kabul schwer verletzt wurde. Mehr als 50 ihrer Freundinnen kamen damals ums Leben. Heute lebt sie im Exil und setzt sich als Bildungsaktivistin für das Recht afghanischer Mädchen auf Schulbildung ein.
Fatima erzählt, dass viele Mädchen sie verzweifelt kontaktieren. „Sie weinen, sie schicken mir Nachrichten und sagen, dass sie ihr Recht auf Bildung wollen… das Einzige, was sie hatten, war Bildung – und selbst das wurde ihnen genommen.“ Laut UN Women unterstützen mehr als 90 Prozent der afghanischen Bevölkerung den Schulbesuch von Mädchen. Dennoch bleibt die Situation dramatisch: Über 2,2 Millionen Mädchen dürfen keine weiterführende Schule besuchen, insgesamt sind rund sieben Millionen Kinder ohne Zugang zu Unterricht. Laut UN Women unterstützen über 90 % der Bevölkerung in Afghanistan den Schulbesuch von Mädchen – dennoch sind mehr als 2,2 Millionen von ihnen vom Unterricht ausgeschlossen. Insgesamt bis zu sieben Millionen Kinder gehen derzeit gar nicht zur Schule.
UN-Organisationen wie Education Cannot Wait (ECW) und Partneragenturen haben erneut an die internationale Gemeinschaft appelliert, Bildung für alle afghanischen Mädchen zu ermöglichen. Doch Fatima beklagt, dass den Worten keine Taten folgen – in einer Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf fordert die Aktivistin Amiri konkrete Unterstützung, etwa durch Stipendien oder Online-Bildungsangebote, um Mädchen trotz der Einschränkungen Lernen zu ermöglichen. „Wenn ihr meine Schule nicht öffnen könnt, gebt mir wenigstens eine Chance – ein Stipendium oder Online-Unterricht,“ appelliert sie an die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats: „Seit vier Jahren sind Schulen und Universitäten geschlossen, Frauen dürfen nicht einmal allein hinausgehen. Reden reicht nicht – wir müssen handeln.“ Trotz schwerster Verletzungen bestand Amiri einst ihre Universitätsaufnahmeprüfung in Informatik, bevor die Taliban auch die Hochschulen für Frauen schlossen. „Ich habe mein Auge und mein Ohr verloren“, sagt sie, „aber noch mehr Mädchen haben ihre Sicht verloren – denn ohne Bildung ist man blind.“
Trotz der Verbote setzen viele Mädchen ihr Lernen im Verborgenen fort – online, mit schwacher Internetverbindung, oder mit alten Schulbüchern. Fatima Amiri steht stellvertretend für eine ganze Generation, der das in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerte Recht auf Bildung verwehrt bleibt – und die dennoch nicht aufhört, dafür zu kämpfen.
Quellen und weitere Informationen: UN News
UN-Menschenrechtsrat fordert mehr Friedensbemühungen
Der UN-Menschenrechtsrat hat in seiner jüngsten Sitzung vor einer globalen Krise der Menschenrechte gewarnt. Hochkommissar Volker Türk betonte, dass weltweit Rechtsbrüche und Kriege zunehmen und die Täter kaum zur Rechenschaft gezogen werden. Er hob Fälle wie den Krieg in der Ukraine, die Lage im Sudan und die Gewalt in Gaza hervor und rief die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. Er kritisierte zudem, dass einige Regierungen das Völkerrecht missachteten und Rechtsverstöße ignorierten. Dies führe dazu, dass Verstöße zur Normalität werden und die internationale Rechtsordnung untergraben wird. Besonders mit Blick auf die Situation im Gazastreifen fordert Türk das Einleiten entscheidender Schritte, um Kriegsverbrechen und Völkermord zu verhindern.
Ein entscheidendes Problem ist die Unterfinanzierung der Menschenrechtsarbeit der UN. Die Auflösung der US-Entwicklungshilfeagentur USAID und Kürzungen anderer Länder führten zu Abbau von Personal bei Untersuchungskommissionen und reduzierten Möglichkeiten für Berichte, Missionen und Dialoge mit Betroffenen schwerster Menschenrechtsverletzungen.
Kritik richtet sich aber auch gegen die Zusammensetzung des Menschenrechtsrats. Dieser wird oft als politisiertes Gremium wahrgenommen, da unter den 47 jeweils für drei Jahre gewählten Mitgliedsländer auch Staaten dabei sind, die die Menschenrechte notorisch missachten.
Israel und die USA werfen dem Rat Voreingenommenheit vor. Beide Länder haben sich im Frühjahr dieses Jahres aus dem Menschenrechtsrat zurückgezogen. Die USA haben sich auch geweigert, die Menschenrechtslage in ihrem Land von der UN turnusmäßig überprüfen zu lassen – gem. der Menschenrechtsexpertin Michaela Lissowsky sei dies in der UN-Geschichte beispiellos, denn die USA wäre damit das erste Land weltweit, dass sich ihrer politischen Verantwortlichkeit derart entziehe. Sogar die russische Föderation, China und der Iran, sowie Syrien in seiner Bürgerkriegssituation haben einen Menschenrechtsbericht eingereicht – zumindest formell haben sich autokratische Regime dem Länderüberprüfungsverfahren des UN-Menschenrechtsrates gestellt.
Menschenrechtsexpert:innen warnen, dass diese Entwicklung Folgen über die USA hinaus habe: Autokratische Regierungen könnten dies als Einladung sehen, sich der Kontrolle zu entziehen. Hochkommissar Türk forderte deshalb eine überregionale Bewegung zum Schutz des internationalen Systems, da „Frieden und Sicherheit… von der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte abhängen“. Der Bericht des UN-Menschenrechtsrats macht deutlich, dass angesichts eskalierender Gewalt und zunehmender Rechtsbrüche eine stärkere internationale Zusammenarbeit und klare Maßnahmen notwendig sind, um Menschenrechte weltweit zu sichern.
Quellen und weitere Informationen: Tagesschau, ZEIT
Gedanken zum Abschluss
Liebe Leserinnen und Leser,
vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, unseren Newsletter zu lesen und euch über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte zu informieren! Weltweit werden täglich Menschenrechte verletzt, doch längst nicht alles findet den Weg in die Medien. Vieles bleibt unbemerkt oder wird zu wenig beachtet.
Auf unserer Website findet ihr die Human Rights Map, auf der bereits einige Länderberichte veröffentlicht sind. Leider sind viele davon noch nicht aktuell oder es fehlen Berichte zu bestimmten Ländern. Deshalb möchten wir die Map weiter ausbauen und regelmäßig ergänzen. Außerdem planen wir, künftig Mini-Recherchen und Blogartikel zu bestimmten Themenbereichen anzubieten, die regelmäßig aktualisiert werden sollen.
Wenn ihr Lust habt, ein Land oder ein Thema zu übernehmen, zu recherchieren oder etwas beizutragen, meldet euch gerne bei uns – wir freuen uns über jede Unterstützung!
Euer Newsletter-Team
(Anna & Masa)






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